August 5, 2025

Adoption – Wenn Liebe loslässt und Liebe aufnimmt

Manchmal kommt das Leben anders, als wir es uns vorgestellt haben. Manchmal verläuft der Weg nicht gerade, sondern macht einen Bogen, dreht sich, hält inne oder führt an Orte, die wir nicht erwartet haben. Und manchmal zeigt sich das größte Geschenk nicht dort, wo wir es geplant hatten, sondern dort, wo wir bereit sind, es zu empfangen.

Wenn ich an das Thema Adoption denke, sehe ich zwei Seelenräume. Zwei Herzenswege. Zwei Entscheidungen, die auf entgegengesetzten Seiten derselben Erfahrung liegen. Auf der einen Seite steht das Loslassen. Auf der anderen das Annehmen. Dazwischen ein Kind. Und rundherum: Liebe. Schmerz. Hoffnung. Mut.

Adoption ist ein Thema, das viele berührt, aber selten in seiner ganzen Tiefe betrachtet wird. Oft wird es vereinfacht, romantisiert oder mit Scham belegt. Doch wenn ich hinspüre, sehe ich etwas anderes. Ich sehe Menschen, die sich entscheiden, aus Liebe zu handeln. Ich sehe Mütter, die mit gebrochenem Herzen loslassen, um ihrem Kind etwas zu ermöglichen, was sie selbst nicht geben können. Ich sehe Familien, die sich öffnen, um einem Kind ein Zuhause zu geben, das bereits geboren wurde. Ich sehe Entscheidungen, die von Tiefe und Verantwortung getragen sind.

Ein anderes Tor zur Elternschaft

Für manche Menschen ist Adoption ein Plan B. Eine Alternative, wenn der eigene Körper kein Kind hervorbringen kann. Doch für viele wird sie zu einem eigenen, ganzen Weg. Zu einem bewussten Ja. Zu einer Elternschaft, die nicht durch Geburt entsteht, sondern durch Entscheidung, durch Hingabe, durch Verbindung.

Ich habe Frauen getroffen, die lange gewartet haben. Auf das Leben. Auf das Kind. Auf die Erfüllung ihres Wunsches. Und irgendwann haben sie gespürt, dass ihr Weg ein anderer ist. Dass das Kind, das zu ihnen gehört, vielleicht schon geboren wurde. Dass es nicht aus ihnen heraus, sondern zu ihnen hin geboren wurde.

Die Entscheidung, ein Kind zu adoptieren, ist keine einfache. Sie ist von vielen Gedanken begleitet. Von Hoffnungen, aber auch von Ängsten. Wird das Kind sich binden können? Werde ich es lieben, als wäre es mein eigenes? Wird es mich irgendwann ablehnen? Werde ich mit seiner Geschichte umgehen können?

Diese Fragen sind real. Sie dürfen sein. Und sie gehören dazu. Denn Adoption bedeutet nicht, dass alles einfach wird. Es bedeutet, sich auf einen Weg einzulassen, der nicht vorhersehbar ist. Aber welcher Weg ist das schon?

Die Seele, die zu mir kommt

Ich glaube, dass Kinder nicht zufällig zu uns kommen. Auch nicht über Umwege. Ich glaube, dass es Seelen gibt, die zu bestimmten Menschen gehören, auch wenn keine Blutsverbindung besteht. Vielleicht haben sich diese Seelen schon vor der Geburt gesehen. Vielleicht hat sich etwas verbunden, das tiefer reicht als Gene und Namen. Vielleicht gibt es eine Verabredung zwischen Seelen, die sich durch äußere Umstände erfüllt.

Wenn ich ein adoptiertes Kind ansehe, sehe ich nicht nur Herkunft und Geschichte. Ich sehe eine Seele, die den Weg zu dieser Familie gefunden hat. Die angekommen ist, obwohl der Weg anders verlief. Und ich sehe eine Mutter, die sich geöffnet hat. Die nicht gefragt hat, ob das Kind ihr gleicht, sondern ob sie es lieben kann. Und das ist vielleicht die größere Liebe.

Das Ankommen braucht Zeit

Wenn ein Kind in eine Familie adoptiert wird, ist das nicht das Ende, sondern der Anfang. Es braucht Zeit. Raum. Geduld. Es braucht das Recht, traurig zu sein, auch wenn es geliebt wird. Es braucht die Erlaubnis, seine Wurzeln zu suchen, ohne dass es als Ablehnung empfunden wird. Es braucht Eltern, die es begleiten, ohne es festzuhalten.

Ich glaube, dass Elternschaft nach Adoption eine besondere Form von Mut erfordert. Der Mut, sich berühren zu lassen von einer Geschichte, die man nicht selbst geschrieben hat. Der Mut, das Kind in seiner Ganzheit anzunehmen, mit seinen Narben, seinen Fragen, seinem Schmerz. Und der Mut, die eigene Rolle immer wieder zu hinterfragen: Bin ich Mutter, auch wenn ich nicht geboren habe? Bin ich Vater, auch wenn ich nicht gezeugt habe? Und ich glaube: Ja. Wer ein Kind liebt, ist Elternteil. Wer ein Kind trägt, innerlich und äußerlich, gehört zu ihm.

Die andere Seite: Das Loslassen aus Liebe

So oft wird über die Familie gesprochen, die adoptiert. Doch seltener über die Familie, die ein Kind freigibt. Und doch ist auch das ein Weg. Ein Weg, der alles in Frage stellt. Der weh tut. Der schmerzt. Und der manchmal aus tiefster Liebe gegangen wird.

Ich habe Frauen getroffen, die ihr Kind zur Adoption freigegeben haben. Manche waren jung, andere krank, manche allein. Manche fühlten sich überfordert, manche waren gezwungen. Und manche haben es aus einem inneren Wissen heraus getan: dass sie ihrem Kind nicht das geben konnten, was es braucht. Dass es besser aufgehoben war an einem anderen Ort. Dass ihre Liebe darin bestand, loszulassen.

Diese Entscheidung ist schwer. Sie geht gegen jeden Mutterinstinkt. Gegen alles, was uns geprägt hat. Und doch kann sie ein Ausdruck der tiefsten Hingabe sein. Nicht weil das Kind nicht gewollt war. Sondern weil es so sehr gewollt war, dass das eigene Leben zurücktrat.

Die Würde der Mutter, die geht

Ich wünsche mir, dass wir auf diese Mütter anders blicken. Nicht mit Urteil. Nicht mit Mitleid. Sondern mit Respekt. Es braucht unendlich viel Kraft, ein Kind auszutragen und es dann zu übergeben. Es braucht Größe, sich selbst zurückzunehmen, damit das Kind eine andere Chance bekommt. Und es braucht ein tiefes Vertrauen: dass das Leben einen Platz findet, auch wenn man ihn selbst nicht halten kann.

In der spirituellen Sichtweise gibt es keine Zufälle. Wenn eine Seele durch den Leib einer Frau kommt, aber in einer anderen Familie aufwächst, dann hat auch das einen Sinn. Vielleicht sollte die Seele beides erfahren: die Herkunft und das Ankommen. Die Trennung und die Verbindung. Vielleicht war es genau dieser Weg, den sie gewählt hat. Und vielleicht sind beide Mütter wichtig, die eine, die den Körper gegeben hat, und die andere, die das Zuhause schenkt.

Ich glaube, dass wir das aushalten dürfen. Diese Komplexität. Diese Tiefe. Diese Weite. Dass wir aufhören dürfen, Adoption als Reparatur zu sehen. Sondern als Begegnung. Als etwas Ganzes. Als etwas, das nicht aus dem Mangel, sondern aus der Liebe entsteht.

Zwei Wege – ein Kreis

Wenn ich Adoption heute betrachte, sehe ich keinen Bruch. Ich sehe einen Kreis. Zwei Frauen. Zwei Lebensrealitäten. Zwei Liebesformen. Und ein Kind in der Mitte, das von beiden getragen wird.

Vielleicht wächst es bei der einen auf, aber es lebt in der Erinnerung der anderen weiter. Vielleicht kennt es seine Herkunft nicht, aber spürt sie dennoch. Vielleicht stellt es Fragen, sucht, zweifelt. Aber vielleicht wird es auch spüren: Ich war gewollt. Von Anfang an. Auch wenn der Weg anders war.

Was uns Adoption lehren kann, ist, dass Elternschaft nicht in der Geburt beginnt, sondern in der inneren Bereitschaft, zu halten, zu nähren, zu lieben. Es gibt Kinder, die durch unsere Körper kommen. Und es gibt Kinder, die durch unsere Seele kommen. Beide sind echt. Beide brauchen uns ganz.

Und vielleicht geht es in Wahrheit gar nicht darum, wem ein Kind „gehört“, sondern wer ihm zuhört. Wer es sieht. Wer es begleitet. Wenn ich Adoption so betrachte, wird sie für mich zu einer Erinnerung an das, was Elternschaft im tiefsten ist: Beziehung. Offenheit. Liebe, die nicht fragt, woher jemand kommt, sondern wer er werden darf.

Ich wünsche mir, dass wir Adoption wieder als etwas Ganzes sehen lernen. Nicht als Alternative, sondern als Möglichkeit. Nicht als Defizit, sondern als Fülle. Nicht als Ausnahme, sondern als eine von vielen Formen, wie Seelen zueinander finden.

Exkurs: Das Wunder der Embryo-Adoption – ein Kind aus 30 Jahren Eis

Während wir Adoption in diesem Beitrag aus spiritueller und seelischer Perspektive betrachten, erreicht uns im Sommer 2025 eine Nachricht, die aufhorchen lässt. In Ohio wurde ein Baby geboren, aus einem Embryo, der mehr als drei Jahrzehnte lang eingefroren war.

Thaddeus Daniel Pierce ist der Name dieses Kindes. Sein Embryo wurde im Jahr 1994 nach einer künstlichen Befruchtung erzeugt und konserviert. Eine andere Embryozelle aus derselben Entnahme führte damals zur Geburt eines weiteren Kindes. Doch Thaddeus blieb, eingefroren, vergessen, bewahrt. Jahrzehnte lang. Bis ein Paar sich bereit erklärte, ihn in Liebe anzunehmen. Die Pierces, selbst seit Jahren unerfüllt kinderwünschend, entschieden sich für etwas, das in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich ist: eine Embryo-Adoption.

Nur ein einziger Embryo überlebte den Auftauprozess. Doch genau dieser wurde zum Lichtträger einer besonderen Geschichte.

Medizinisch gesehen ist diese Geburt ein Meilenstein. Doch viel mehr noch ist sie ein Impuls zum Innehalten. Zum Lauschen. Zum Staunen. Denn was bedeutet es, wenn ein Leben drei Jahrzehnte lang zwischen den Welten ruht? Was bedeutet es, wenn eine Seele so lange wartet und dann, scheinbar aus dem Nichts, ins Leben tritt?

Ein Kind aus der Vergangenheit – geboren in der Gegenwart

Thaddeus wurde 2025 geboren, aber gezeugt wurde er im Jahr 1994. Seine DNA, seine Zellstruktur, sein Ursprung, all das trägt die Zeit von damals in sich. Und doch lebt er jetzt. Lacht jetzt. Wird gehalten, gefüttert, getragen, geliebt, jetzt.

Diese Geburt wirft Fragen auf. Fragen nach der Zeitlosigkeit des Lebens. Fragen nach dem Wesen der Seele. Fragen nach Verantwortung, nach Technik, nach Freiheit. Aber vor allem erinnert sie mich daran, dass Leben seinen eigenen Rhythmus hat. Dass es weder drängt noch eilt. Dass es manchmal wartet. Und dass es kommt, wenn der Raum bereit ist.

Die Entscheidung der Seele – unabhängig von Zeit

Ich glaube, dass die Seele von Thaddeus nicht dreißig Jahre lang schlief. Sie war nicht eingefroren. Sie war unterwegs. Beobachtend vielleicht. Wartend. Wählend. Vielleicht war sie schon verbunden mit der Mutter, die ihn empfangen sollte. Vielleicht hat sie selbst entschieden, so lange zu verweilen, bis Menschen bereit waren, sie aufzunehmen.

In der spirituellen Sichtweise ist Inkarnation kein rein biologisches Ereignis. Die Seele betritt nicht einfach den Körper, weil Zellen sich teilen. Sie wählt ihren Moment. Ihren Raum. Ihre Familie. Sie begegnet jenen, die zu ihr gehören, jenseits von Genetik, jenseits von Norm.

Dass eine Seele über 30 Jahre auf ihre Ankunft wartet, bedeutet nicht, dass sie verloren war. Es bedeutet vielleicht, dass sie geduldig war. Dass sie Vertrauen hatte. Dass sie wusste: Der Moment wird kommen. Und ich werde da sein.

Adoption – im tiefsten Sinne

Was in diesem Fall geschieht, ist eine Form von Adoption, die tiefer reicht als Worte es ausdrücken können. Denn hier wird nicht nur ein Kind angenommen, das bereits geboren ist. Hier wird ein Leben empfangen, lange bevor es sichtbar war. Ein winziger Embryo, den niemand kannte, wurde gehalten. Nicht im Körper, sondern im Herzen.

Die Frau, die Thaddeus geboren hat, ist nicht seine genetische Mutter. Und doch ist sie es in jeder Hinsicht. Sie hat ihn getragen, geboren, genährt, geliebt. Und sie hat ihn gewählt. Ihre Entscheidung war frei. Ihr Herz war offen. Sie hat ein Kind aufgenommen, das nicht aus ihr kam und das doch zu ihr gehört.

Für mich ist das Adoption im tiefsten Sinn. Eine Seele wird eingeladen, nicht weil sie erwartet wurde, sondern weil sie erkannt wurde. Weil sie willkommen war. Weil Liebe keine Blutlinie braucht.

Zwischen Raum und Zeit und doch verbunden

Thaddeus verbindet zwei Familien. Zwei Welten. Zwei Zeiten. Seine Herkunft reicht in ein anderes Jahrhundert. Seine Ankunft jedoch ist heute. Zwischen diesen Polen liegt nicht nur Technologie. Sondern Beziehung. Verantwortung. Geistige Verbindung.

Die Geschichte dieses Kindes erzählt uns, dass Leben nicht linear ist. Dass es Kurven macht, Pausen einlegt, Umwege geht und dennoch ankommt. Dass es Seelenwege gibt, die sich unserer Kontrolle entziehen, und doch zutiefst in unser Leben eingreifen.

Ich sehe in diesem Kind ein Zeichen. Ein Symbol dafür, dass Hoffnung nicht stirbt, auch wenn sie lange still ist. Dass Liebe wirkt, auch wenn sie noch keinen Namen hat. Und dass das, was wirklich werden soll, seinen Weg findet, über Jahre, über Länder, über das Eis der Zeit hinweg.

Eine spirituelle Erinnerung

Diese Geschichte hat mich tief bewegt. Nicht nur, weil sie spektakulär ist. Sondern weil sie mich daran erinnert hat, dass wir Menschen nicht nur durch Geburt miteinander verbunden sind. Sondern durch Absicht. Durch Hinwendung. Durch Seelenklang.

Ein eingefrorener Embryo kann zu einem Kind werden. Eine wartende Seele kann ankommen. Und eine Frau, die dachte, dass sie nie Mutter werden würde, kann ein Leben empfangen, das in einer anderen Zeit begonnen hat.

Was bleibt, ist Staunen. Und vielleicht ein stilles Wissen: Dass es keine Rolle spielt, wann eine Seele kommt. Sondern nur, ob wir bereit sind, sie zu empfangen.

Ausblick

Nicht jede Seele, die sich auf den Weg macht, wird geboren. Und nicht jedes begonnene Leben führt in ein gemeinsames Ankommen. Zwischen Hoffnung und Realität liegt oft ein zarter, schmerzhafter Zwischenraum, einer, über den wenig gesprochen wird, und der doch so viele betrifft: der Moment, in dem ein Kind nicht bleibt.

Im nächsten Beitrag widme ich mich daher einem besonders sensiblen Thema: der bewussten Entscheidung gegen eine Geburt und dem ungewollten Abschied durch eine Fehlgeburt. Zwei Erfahrungen, so unterschiedlich sie sind, doch beide tief eingegraben in das seelische Erleben vieler Frauen.

Ich möchte versuchen, diesen Raum zu öffnen, nicht bewertend, sondern verstehend. Nicht erklärend, sondern lauschend. Denn auch dort, wo Leben endet, ehe es begonnen hat, hinterlässt es Spuren. Und manchmal sind es gerade diese Spuren, die uns verwandeln.

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